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Haushaltsrede 2020, ÖDP- Fraktion

Erstellt von Michael Hartge | |   Thema

Es zählt das gesprochene Wort

Lassen Sie mich mit einem Vergleich beginnen. Unsere Stadt gleicht einem Schiff. Einem großen Schiff. Recht luxuriös – es geht uns gut. Unser Kapitän hält den Kurs, die Verwaltung steht ihm als Mannschaft zur Seite und hält alles am Laufen. Unsere Reise ist ruhig. Klar ein paar Sachen gibt es immer, an denen man sich stört. Aber im Großen und Ganzen läuft der Laden. 
Man sieht das an unserem Haushalt. Rekordeinnahmen und Rekordausgaben. Wir befassen uns strategisch mit der Zukunft. ISEK und Flächen Nutzungsplan. Unseren Sanierungsstau arbeiten wir ab. Alles Punkte, die es in der Vergangenheit nicht gab.
Wir könnten zufrieden sein. Aber leider – schlechte Nachricht – unser Schiff fährt in die falsche Richtung! Schon seit vielen Jahren haben wir z.B. beim Klimaschutz den falschen Kurs. 
In den vergangenen Jahren herrschte bei vielen noch die Hoffnung, dass wir trotzdem im richtigen Hafen ankommen werden. Oder das die Kursabweichung gar nichts ausmacht. Schließlich sind wir auf hoher See. Ringsum viel Platz und unendlich viel Zeit zum Reagieren.

Klima:

Die Vorzeichen haben sich geändert. Unsere Kinder gehen auf die Straße, weil sie Angst um ihre Zukunft haben. Angst, weil wir auf dem falschen Kurs sind. 
Aber nicht nur die Jugendlichen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Bei den EU Wahlen erreichten die Öko-Parteien bei den 18- bis 29-jährigen mit 31% den größten Anteil. Durch alle Bevölkerungsschichten zieht sich die Erkenntnis, dass wir endlich handeln müssen. 
In Berlin hat die Große Koalition daraufhin ein Klimaschutzpaket beschlossen und die Tonne CO2 mit 25 Euro bepreist. Die Europäische Union ernennt den Klimaschutz zur Priorität Nummer 1.
Und in Memmingen? Wir stellen fest, dass wir unser Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2012 nicht umgesetzt haben.  
Vorgesehene, regelmäßige Treffen des Energieteams, bestehend aus Verwaltung, Experten und Stadträten fanden nie statt. 
33 Maßnahmen zum Klimaschutz haben wir definiert. Maßnahmen nicht nur für die Liegenschaften der Stadt, sondern für alle Bürger und für alle Unternehmen Memmingens.
Strom- (Reduzierung um 31%), Benzin- (Reduzierung um 37%) und der Wärmeverbrauch sollten bis 2020 deutlich gesenkt werden. So gut wie nichts ist passiert. Zielkontrollen fanden nie statt.  
Im Konzept ist zu lesen „die Umsetzung dieser Maßnahmen setzen eine umfangreiche Bewusstseins bildende Berichterstattung von Seiten der Stadt voraus.“ Auch das haben wir nie gemacht. 
Wie konnte das passieren? Haben den Klimaschutz einfach vergessen? Wie es gerne mit Dingen passiert, denen man keine Wichtigkeit beimisst?  
Im Herbst 2019 haben wir auf Drängen des Stadtrats nun einen neuen Versuch gestartet. Die Fortschreibung eben dieses Klimaschutzprojekts aus dem Jahr 2012. Sind wir sicher, dass diese Fortschreibung mit mehr Ernsthaftigkeit und mehr Engagement betrieben wird? Sind wir jetzt mit unserem Schiff auf dem richtigen Kurs? Die Akteure sind und bleiben dieselben. In diesem Haushalt ist, obwohl das im Herbst vom Stadtrat beschlossen wurde, kein Geld dafür vorgesehen. Die Verwaltung prüft gerade - seit fast einem halbe Jahr -, ob wir dieses Konzept ausschreiben müssen.  
Sind wir zufrieden? Nein, sind wir nicht!

Artenschutz:

2019 war auch das Jahr des Artenschutzes. 1,75 Millionen Menschen unterschreiben in Bayern für das von der ÖDP initiierte Volksbegehren „Artenvielfalt“. In Memmingen waren es über 5000. Dieses Thema ist den Menschen wichtig. Der bayerische Landtag nimmt daher auch den entsprechenden Gesetzesentwurf an. 
Und in Memmingen? Auf welchem Kurs ist unser Schiff? Nicht die Stadt, sondern Klaus Holetschek initiierte einen runden Tisch der Artenvielfalt – vielen Dank dafür Kollege. Mit großer Beteiligung. Viele Ideen wurden vorgebracht. Leider eine einmalige Veranstaltung. Die Ankündigung der Stadt „diesen Runden Tisch in einem regelmäßigen Turnus anzubieten, um weiter miteinander zu arbeiten“ wurde seit Juli 2019 nicht umgesetzt.
Wenn man „Artenschutz“ und „Stadt Memmingen“ googelt, dann kommt man zum Amt für Umweltschutzverwaltung und als Ansprechpartner wird man an unser Rechtsamt verwiesen. Nichts gegen unser Rechtsamt. Aber von Ihnen erwartet man eher Stilblüten bei Rechtsfragen als Hilfe bei Blühpflanzen. 
Wir haben auch einen Naturschutzbeirat. Zumindest werden die Mitglieder dafür alle fünf Jahre ernannt. Im letzten August wäre auch das beinahe schief gegangen. Die Ernennung fand einige Monate zu spät statt. Unser Naturschutzbeirat, eine Alibiveranstaltung?
5000 Memminger haben für mehr Artenschutz unterschrieben und wir nehmen das Anliegen diese Menschen nicht ernst. Ich frage Sie: ist unser Schiff auf dem richtigen Kurs? 
Sind wir zufrieden? Nein, sind wir nicht!

Bürgerbeteiligung:

2019 war auch das Jahr der Bürgerbeteiligung. Über 6400 Memminger sind zur Urne gegangen, um per Bürgerentscheid eine Beteiligung einzufordern. Die Stadt wollte zu diesem Zeitpunkt keine Beteiligung der Bürger. Beim Bürgerentscheid Bahnhofsareal sagten 67% "Nein" zu den Planungen des Investors Ten Brinke. Diese Pläne sind zum Glück vom Tisch. 
Damals war unser Schiff definitiv auf dem falschen Kurs. Stadtentwicklung durch gewinnorientierte Investoren, das Ganze unter der Federführung der Kämmerei. Das kann nicht der richtige Weg in einer gemeinwohlorientierten Stadt sein. Verfolgung des Gemeinwohls und nicht Begünstigung von Investoren. Das ist keine Idee der ÖDP, sondern das schreibt uns die bayerische Verfassung vor.
Die Bürgerbeteiligung zum Bahnhofsareal läuft. Wir alle sind auf die Ergebnisse gespannt. Das allerwichtigste für uns ist es jetzt, diese Ergebnisse und damit das Engagement der Bürger ernst zu nehmen!
Ein zweites Thema wurde 2019 entschieden. Unser Kombibad. Leider ohne Beteiligung der Bürger. Wahrscheinlich wäre auch dann einiges anders gelaufen. Beim Bad hat die Projektleitung vom Hochbauamt über das Schulverwaltungsamt zur Kämmerei gewechselt. Die Aufgabe der Kämmerei ist es unser Geld zusammenzuhalten, nicht ein Kombibad zu planen. Eine Sauna wird es – gegen unsere Stimmen - nicht geben und selbst eine Erlebnisrutsche für Kinder ist nicht selbstverständlich. Sparen am falschen Platz bringt uns um viel Lebensqualität. 
Sind wir zufrieden? Nein wirklich nicht!

Umgang mit Anträgen:

Wie geht die Veraltung mit Anträgen von uns Stadträten um? Sind wir hier auf dem richtigen Kurs? 2014 kritisierte die CSU den amtierenden OB Dr. Holzinger für den Entscheidungstau und für planloses Handeln. 27 Anträge waren damals unerledigt. Heute haben wir einen anderen OB, aber der Kurs unseres Schiffes hat sich nicht geändert. Stand letzte Woche: 23 offene Anträge quer durch alle Fraktionen.
Können wir damit zufrieden sein? Nein!
Wir vermissen besonders eine objektive Bearbeitung von Anträgen durch die Verwaltung. Das ausgewogene Aufstellen von pro und contra. Eine Kommunikation mit dem Antragsteller etwas erreichen zu wollen. Allzu oft hört man „das geht nicht“, „das ist Blödsinn“ statt „wir versuchen eine Lösung zu finden“. 
Wir wünschen uns eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen. Nur damit können wir zu anderen Städte aufschließen, die offen gegenüber neuen Ideen sind.
Das Beraten von Anträgen im Rahmen der Haushaltsberatungen ist nicht sinnvoll. Ich habe in meinen bald 12 Jahren nie erlebt, dass ein Antrag angenommen und der Haushalt in Folge geändert worden wäre.
Unser Herr Oberbürgermeister hat angekündigt die Behandlung von Anträgen neu ordnen zu wollen. 
Wir sind gespannt, ob ein Kurswechsel stattfindet.

Fazit

Nun, heute kommt die Verwaltung mit diesem Haushalt zu uns Stadträte und frägt uns „ist das so ok? Können wir wie bisher weitermachen?“
Jeder von uns Stadträten hat Punkte, die er gerne ändern würde. Wenn dem nicht so wäre, dann würde keiner von uns erneut für dieses Amt kandidieren. 
Und das heute ist der einzige Moment im Jahr, an dem die Verwaltung uns Stadträte wirklich braucht. Ohne diesen Haushalt und ohne die darin enthaltenen Gelder geht es nicht. Wir bestimmen heute über dieses Geld und damit über die Handlungsweise der Verwaltung. 
Und - sind wir zufrieden? Nicht mit allem. Wie sollen wir da heute entscheiden?
Wir von der ÖDP werden dem Haushalt in diesem Jahr nicht zustimmen.
Wir möchten erst sehen, dass die Verwaltung beim Klimaschutz und beim Artenschutz einen neuen Kurs einschlägt. Wir möchten sehen, dass Bürgerbeteiligung ernstgenommen wird. Wir möchten, dass unsere Anträge ernst genommen werden und Neues in unserer Stadt positives gesehen und vorangetrieben wird.

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